Die Chroniken von Nyx

Prinzessin Aurelia und der Hohepriester Volkan

Ein lautes Klopfen durchbrach die Stille und riss Sarina aus ihrem Schlaf. Sie blinzelte verschlafen und ließ ihren Blick langsam durch das Zimmer schweifen.
Das Mädchen gähnte und streckte sich. Abermals wurde an der Tür geklopft.
Sarina erhob sich rasch und bewegte sich auf die Tür zu. Sarina hielt inne, als sie direkt davor stand. Wer mochte auf der anderen Seite stehen? Wer erlaubte sich, sie zu stören?
Eine leise innere Stimme mahnte sie zur Vorsicht. Die junge Frau strich über ihr Kleid, um sicherzustellen, dass alles an seinem Platz saß.
Ihre Hand umklammerte die Klinke fest, ehe sie diese langsam herunterdrückte.
Auf der anderen Seite stand der Hohepriester Soleas in seiner formellen Robe. Tiefe Falten durchzogen sein ganzes Gesicht, der Rücken war durchgedrückt. Ein frostiger Blick huschte über Sarinas Gestalt und hinterließ eine Gänsehaut, während sie unwillkürlich zwei Schritte zurückwich. Volkans verkrampfter Versuch zu lächeln wirkte mehr wie eine Grimasse.
»Eure Hoheit.« Er verbeugte sich mit einer übertriebenen Armbewegung, die dazu führte, dass er ins Straucheln geriet und fast gefallen wäre.
»Ich komme im Auftrag des Prinz Gemahls, deines Vaters.« Er betonte den Titel wie üblich besonders stark. »Er wünscht, dich zu sehen.« Er drehte sich leicht zur Seite und mit einer ausladenden Handbewegung wies er ihr den Weg, dem sie folgen sollten.
Sarina nickte leicht. »Natürlich, bitte warte einen Augenblick, ich werde nur schnell meine Schwester holen.« Gerade als sie sich umdrehte, spürte sie, wie ihre Handgelenke fest umfasst wurden. Er drückte dabei etwas fester zu.
»Nur dich will er sehen, diese Missgeburt ist dabei nicht erwünscht.« Zischte er und sein Blick bohrte sich direkt in ihre Augen.
Die Worte hallten in ihrem Kopf wider, bis sie deren Bedeutung verstand. Wie bitte? Das hatte er nicht wirklich gesagt. »Das ist meine Schwester.« Stellte sie fest und ballte ihre Hand zu einer Faust.
Mit einer ruckartigen Bewegung befreite sie sich aus seinem Griff, während sein Blick vor Verachtung sprühte. »Es ist eine Missgeburt, eine Beleidigung der Götter. So etwas dürfte gar nicht leben, jedenfalls nicht, wenn es nach dem Willen Soleas ginge und des Prinzen.«
Ihr ganzer Körper bebte, und ihr Atem wurde schnell und hektisch. Zitternd stand sie da, und der komplette Raum vibrierte mit ihr mit, zwar nur ganz leicht kaum merkbar aber die Spannung stieg.
Volkan griff erneut nach ihrem Arm und zog leicht daran. »Dein Vater wartet auf dich. Du darfst ihn nicht warten lassen.« fauchte er, seine Worte wie Dolche, die ihr Herz durchbohrten. Tausende Nadelstiche schienen ihre Haut zu durchdringen.
Sarina hörte seine Worte, aber sie drangen nur wie ein dumpfes Rauschen in ihr Bewusstsein.
Das Kribbeln auf ihrer Haut verstärkte sich weiter, die Wände begannen stärker zu vibrieren und die Möbel sich teilweise zu bewegen. Ein elektrischer Impuls entlud sich, Volkan wurde zurück geschleudert, soweit das er gegen die Wand des Korridors prallte.
Die Prinzessin kreischte erneut. „Sie ist meine Schwester!“
Die Temperatur im Raum fiel abrupt ab, so dass der Atem der beiden sichtbar wurde.
Volkan sank an der Wand hinunter und starrte sie mit weit aufgerissenen Augen an. Sarina hörte nichts mehr außer das Rauschen ihres Blutes. Sie sah das seine Lippen sich bewegten aber war nicht im Stande auch nur ein Wort davon zu verstehen.
War er ängstlich? Fühlte sie Angst? Sie konnte ihre Gefühle nicht klar einordnen. Als hätte jemand einen Eimer kaltes Wasser über ihr ausgekippt und jeder Tropfen war ein anderes Gefühl, das sich in ihr ausbreitete. Es zerrte an ihrem Körper, an ihrem Verstand,und sie fühlte sich wie gelähmt. Sie wollte schreien, doch ihre Stimme versagte.
Plötzlich jedoch breitete sich von ihrer Schulter aus eine seltsame Ruhe aus. Eine reine, absolute Stille, eine perfekte Harmonie, die sich langsam in ihr ausbreitete.
In Volkans Augen lag etwas, das sie noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte: Etwas Neues, Unbekanntes, das sie nicht zu interpretieren vermochte. Sein Blick versetzte ihr einen tiefen Stich ins Herz.
Langsam kehrte das Gefühl in ihren Körper zurück, und sie spürte eine Hand auf ihrer Schulter. Sie drehte leicht Ihren Kopf und blickte in die Augen ihrer Schwester. Wie aus dem Nichts stand Illyria neben ihr, mit einem Lächeln so beruhigend wie der sanfte Wellenschlag des Meeres, eine Stille, die sie umfing.
»Es wird alles wieder gut.« Die Möbel wackelten nicht weiter und das zerren an ihrem Körper stoppte ebenfalls.
Doch bevor sie sich ganz in dieser Ruhe verlieren konnte, drangen schnell nähernde Schritte an ihre Ohren. Ihre Mutter eilte herbei, gefolgt von ihrer persönlichen Leibwache.
Aurora versuchte die Situation zu erfassen. Auf der einen Seite standen ihre Töchter nebeneinander und der Hohepriester Volkan kauerte auf dem Boden. »Was ist passiert?«
Sarina spürte sofort die Tränen in ihren Augen aufsteigen. »Vergib mir, Mutter, bitte… ich wollte das nicht«, flüsterte sie, bevor ihre Beine unter ihr nachgaben und die Welt um sie herum in Dunkelheit versank.
Illyria fing ihre Schwester auf, während eine der Wachen dabei war, dem Hohepriester wieder auf die Beine zu helfen. Volkan versuchte hastig, sich zu erheben und seine Robe zu ordnen.
»Eure Tochter hat… versucht…«, begann er zu erklären, verstummte jedoch sofort, als die Königin ihm einen Blick zuwarf, dessen Konsequenzen er nur allzu gut kannte.
Aurora hockte sich neben ihre bewusstlose Tochter und strich sanft über deren Wange. Dann richtete sie ihren Blick auf Illyria, die Sarina fest in ihren Armen hielt, als wären sie ein schützendes Schild. Eine stumme Frage lag in Auroras Blick, doch Illyria senkte den ihren.
»Ich weiß es nicht. „Nach dem Unterricht war sie so erschöpft, dass sie sich hingelegt hat. Es hat sie mal wieder überfordert. Ich hörte ein Klopfen bei ihr und dann begann alles zu wackeln, also bin ich sofort zu ihr gerannt. Ich sah ihn dort liegen und Sarina war vollkommen aufgelöst.« Sie versuchte den Blick ihrer Mutter zu kopieren mit dem sie nun den Priester ansah und da Volkan kurz strauchelte, glaubte sie das es funktionierte.
»Der Prinz Gemahl hatte nach seiner Tochter verlangt.« Er hielt den Kopf hoch und streckte das Kinn noch etwas nach oben.
Aurora holte tief Luft. »Dann sag seiner Lordschaft, dass meine Töchter heute nicht mehr abkömmlich sind. Außerdem erwarte ich das er sich unverzüglich bei mir einfindet.«
In Illyria regte sich ein kleines Gefühl des Triumphs darüber, dass ihre Mutter den Mann endlich zurechtwies, doch die Sorge um ihre Schwester überwog bei weitem. Die Prinzessin blickte wieder zu ihrer Mutter auf und umklammerte ihre bewusstlose Schwester.
Aurora nickte kaum merklich und strich ihrer Tochter Illyria über die Wange. »Nimm sie mit in dein Zimmer. Ich werde Eilan benachrichtigen lassen.«
Eine der Wachen verstand die stillschweigende Anweisung und hob die Prinzessin vom Boden, während Illyria zögerte, ihre Schwester loszulassen.
Volkan verneigte sich leicht vor Aurora, bevor er sich in Richtung der Verbindungstür wandte und zwei Schritte darauf zu machte. »Noch etwas, Volkan«, fuhr Aurora fort, ihre Stimme kalt und entschlossen. »Halte dich von meinen Mädchen fern.« Sie nickte ihren Wachen zu, die sofort ihre Hände an die Griffe ihrer Schwerter legten.
Schließlich begleitete Illyira die Wache in ihr angrenzendes Zimmer, wo Sarina behutsam auf das Bett gelegt wurde. Illyria setzte sich direkt neben sie. Die Wachen schlossen die Tür und stellten sich davor auf. Sie strich ihrer Schwester über den Kopf und wartete das sowohl Eilan als auch Demira eintreffen würden.

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