Die Vorstellung – Textschnipsel
Königin Aurora warf einen Blick zu den Neugeborenen in die Wiege. Ein Seufzen entwich ihren Lippen, während sie versuchte, eine bequeme Position in ihrem Stuhl zu finden. Es war nicht einfach, weil es irgendwo immer zu drücken schien.
Ihr Wunsch, auf eigenen Beinen in den Thronsaal zu schreiten, wurde von ihrem schwachen Körper vereitelt, und so musste sie sich mit dem nächsten verfügbaren Rollstuhl begnügen.
Die Geburt der Zwillinge lag erst zwei Stunden zurück, doch die Pflicht rief, und die Tradition verlangte, dass die Thronerbin noch am selben Tag der Öffentlichkeit vorgestellt wurde.
Obwohl die Zeit knapp wurde und Aurora kaum Gelegenheit hatte, sich zu erfrischen, war ihr die Einhaltung dieser Tradition von größter Bedeutung für sie. Die Uhr schlug elf, und die Unruhe in ihr wuchs mit jeder Minute.
»Wir könnten die Präsentation noch einige Stunden verschieben, meine Königin«, schlug Flora vor und ergriff Auroras Hand. »Die Tradition besagt lediglich, dass es während eines Sonnenlaufs erfolgen muss. Die Mädchen kamen erst nach Sonnenuntergang zur Welt, also haben wir noch Zeit.«
Flora griff nach ihrer Hand. Wann immer es möglich war, versuchte die Kammerzofe, ihr etwas von ihrer eignen Energie zu geben. Sie war nicht nur Teil des königlichen Hofstaats, sondern war mit der Hohepriesterin Eilan auch eine ihrer besten Freundinnen.
Die beiden Frauen hatten ihr geholfen, sich frisch zu machen. Sie trug ein karminrotes Kleid, darüber den ebenso roten Umhang. Bis auf ihre Krone hatte sie auf weiteren Schmuck verzichtet. Sie wollte nicht, dass jemand an ihrer Stärke zweifelte, nur weil sie erst kürzlich entbunden hatte. Mit festem Griff umklammerte sie die Armlehne und drückte sich langsam nach oben, bereit, ihre Pflichten als Königin zu erfüllen.
»Wir werden das hinter uns bringen.“ Erklärte Königin Aurora. Es war nun einmal Tradition, die Erben nicht zu lange der Öffentlichkeit vorzuenthalten.
Doch sie konnte nicht anders, als sich zu fragen, warum ihr Gemahl noch nicht erschienen war. »Wo steckt der Herzog?«
Ihre Augen suchten den Gang, doch außer zwei Wachen vor dem Saal war niemand zu sehen. Ein leises grummeln entrang sich ihren Lippen.
Seit sie ihre Schwangerschaft verkündet hatte und die kritische Phase überstanden war, in der sie zuvor ihre Kinder verloren hatte, hatte sich alles verändert. Ihr Gemahl schien ständig abwesend zu sein oder in Gesellschaft des Hohepriesters von Solea.
»Ich vermute, er hat noch etwas zu erledigen«, meinte Flora. »Lord Lucius sollte jedoch bald eintreffen. Sollen wir auf ihn warten?« Sie warf einen Blick zur Hohepriesterin, die nur leicht mit den Schultern zuckte.
Aurora spannte ihren Körper an, betrachtete noch einmal die Gesichter ihrer Begleiterinnen und gab dann das Zeichen.